Kerns-Röbbert, Marion, „Das Medusa Team“, Öl auf Leinwand, 100x70cm, 2015

„Das Medusa-Team“

Das Bild „Das Team“ bringt sehr grundverschiedene Persönlichkeiten großer zeitlicher, örtlicher, geschichtlicher, mythologischer und grundsätzlicher Unterschiede zusammen. Es ist als Metapher anzusehen für ein mögliches Miteinan der trotz anfangs gesehener unüberbrückbarer Unterschiede jeglicher Art. Ja, es ist immer möglich, gemeinsam an einen Strang zu ziehen und auf ein gemeinsames großes Gesamtziel hinzuarbeiten und daran zu glauben. Zählen tut nur der starke gemeinsame Wille.

Auf diesem Bild tun sich unwahrscheinlich vielseitige phantastische Geschichten auf. Was hat schon der nordisch germanische Göttervater Odin mit dem walisischen Zauberer Merlin, dem aus der griechischen Mythologie stammenden Medusa und Hygieia, der Tochter des Gottes der Heilkunst zu tun? Und was haben diese nun mit dem Zauberer von Oz, der so alt wie ein Baum zu sein scheint, gemeinsam? Noch verrückter ist es, wenn man sich fragt, welche Rolle nun der First Baseman und der Second Baseman spielen und wie das überhaupt eine Einheit werden soll. Aber genau das ist eine perfekte Einheit. Sie alle stehen um Medusa herum, die offensichtlich sehr krank ist und eine Infusion benötigt. Es ist ein mythologischer Krankenbesuch, der Zeit und Raum durchdringt und auf eine Ebene gebracht wird.

Dafür muss ich erst mal alle Personen vorstellen. Die Geschichte beginnt.
Medusa ist die Tochter der Meeresgottheiten Phorkys und Keto. Sie ist von betörender Schönheit trotz eines Schwächeanfalls. Deshalb wird ihr eine Natriumchloridlösung eingeflößt, damit sie schnell wieder zu Kräften kommen kann und ihre strahlende Schönheit weiter alle Herzen ihrer Liebhaber betören kann. Sie ist eine Frau mit einer sagenhaften Verehrer Schar. Alle liegen ihr scheinbar friedvoll zu Füßen und lesen jeden Wunsch von ihren Lippen ab. Sie steht im Mittelpunkt und bringt alle unterschiedlichen Personen zusammen
Alle sind nur wegen ihr hier, denn der Schrecken eines plötzlichen Ablebens saß zu tief in ihren Knochen. Der Rettungshubschrauber hat sie innerhalb von zehn Minuten ins allerbeste Krankenhaus des Landes eingeflogen. Früher war das einmal der Privattempel der Hygieia, worinnen ihre Priesterinnen mit Kräutern, Heilsteinen, Bädern in Heilquellen, energetisierenden Massagen und Heilungssitzungen wirkten. Jetzt steht an diesem Ort ein Neubaukomplex von einem hochmodernen Klinikum.

Natürlich ist Medusa eine Privatpatientin, sonst wäre es, wie hierauf dem Bild zu sehen, kein ruhiges Einzelzimmer geworden. Kostet ja auch etwas mehr und man muss sich vom gemeinen Volk abgrenzen. Das haben sich Götter und Halbgottheiten schon verdient. Wo kämen wir denn sonst hin, wenn jeder tun könnte, was er so wollte. Nein, keinesfalls geht das so. Außerdem war Medusa seit Jahren eifrige Blutspenderin und Sponsorin gewesen und sie hat einen Organspendeausweis. In dem Fall hat sie es auch irgendwie verdient. Viele verzichten darauf, anderen zu helfen, indem sie keinen Organspendeausweis besitzen.

Geholfen wird der Medusa von einer aufopferungsvollen Krankenschwester namens Hygieia. Ihr Vater war Asklepios, der Gott der Heilkunst. Er hat mit dem Blut der Medusa und seinem magischen Heilkräften, Tote wieder auferstehen lassen und dafür wurde er von Zeus mit einem einzigen Blitzschlag getötet.

Dieser hatte sich derart aufgeregt, dass es keine Sterblichen mehr geben könnte und hatte dem ganzen ein Ende gesetzt. Asklepios war ein sterblicher Erdgott und sein Symbol war der Äskulapstab, woran sich eine Schlange herumwindet. Heute ist dies immer noch das Symbol der ärztlichen Praxis oder hat einen Bezug zur Medizin. Seine Kenntnisse in Medizin, Chrirurgie und Kräuterkunde gab er an seine Tochter Hygieia weiter. Sie ist die Personifikation der Gesundheit und gilt als Schutzpatronin der Apotheker. Meist wird sie mit einer aus einer Schale trinkenden Schlange oder einem Füllhorn voller Früchte dargestellt. Hier aber überträgt sie nur wichtige Flüssigkeit zum Erhalt des Lebens. Ihr Name wird gleich am Anfang des Eids des Hippokrates angerufen:

„Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.

Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten, ihn an meinem Unterricht teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not gerät, von dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern halten und sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgelt und Vertrag. Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers und die vertraglich verpflichteten und nach der ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen lassen, sonst aber niemanden.

Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden
Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben. Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.

Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben
In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem geschlechtlichen Missbrauch an Frauen und Männern, Freien und Sklaven.

Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgange mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.

Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.“

Die im Eid erwähnte Panakeia ist ihre Schwester, die Göttin der Medizin und Zauberei, diese steht ihr als „Allheilende“ metaphysisch miteinander verbunden zur Seite. Es steht also der Genesung der Medusa nichts im Wege und alles steht zu ihrem Besten. In aller Stille beten und meditieren auch ihre um sie herumsitzenden Liebhaber, dass es alsbald wieder um sie gut bestellt ist.

Der hinter ihr sitzende Odin ist ein Gott mit vielen Facetten und Gesichtern. Einerseits ist er der Gott des Krieges, aber auch listig und heimtückisch. Er ist ein Quell des Wissens und der Weisheit. Seine Magie ist dennoch gerecht. Seine Verwandlungsfähigkeit unübertroffen. Er wandelt oft mit Hilfe seines Wunschmantels unerkannt unter den Menschen, um ihre Geschichten zu erfahren und stets auf der Suche nach Erkenntnis und Antworten. Bei seiner Geliebten gibt er sich offen zu erkennen, denn es geht ihm schon sehr „an die Nieren“. Da er aber genügende Informationen von Hygieia bekommen hatte, kam seine sonst so jähzornige Berserkerwut nicht heraus. Immer öfter konnte er diese im Zaum halten. Diese Blöße konnte er sich natürlich nicht vor seinen anderen Nebenbuhlern geben. So nun doch nicht. Bei seinem magischen Heilungsspruch für seine Geliebte wandelte er einfach seine beiden Zauberformeln etwas ab. Der erste war ein Löse- und der zweite ein Heilungszauber. Bekannt sind beide als Merseburger Zaubersprüche, die von Jacob Grimm 1842 herausgegeben und kommentiert wurden. Sicherheitshalber hat er auch diesen Zauberspruch angewendet , wo er eine Pflanze (Arundhati ) mit besonders in sich ruhenden Heilkräften anruft :

  1. Eine Wachsenlassende bist Du als Rohini [*Rote] die (Zusammen-)Wachsenlassende des gespaltenen Knochens, laß auch dies hier (zusammen-)wachsen, o Arundhatî!
  2. Was Dir versehrter, was Dir versengter Knochen oder Fleisch ist an Deinem Selbst, das soll (der Gott) Dhatr (der [Zusammen-]Setzer) heilbringend wieder zusammensetzen, mit dem Gelenk das Gelenk.
  3. Zusammen werde Dir Mark mit Mark, und zusammen Dir mit Gelenk das Gelenk, zusammen wachse Dir das Auseinandergefallene des Fleisches, zusammen wachse der Knochen zu!
  4. Mark werde mit Mark zusammengefügt, mit Fell wachse Fell (zusammen), Blut und Knochen wachse Dir, Fleisch wachse mit Fleisch (zusammen)!
  5. Haar füge (oder: füge er) zusammen mit Haar, mit Haut füge (oder: füge er) zusammen Haut, Blut (und) Knochen wachse Dir, das Zerspaltene mache zusammen, o Pflanze!
  6. So steh auf, geh los, lauf fort (wie) ein Streitwagen mit guten Rädern, mit guten Radschienen, mit guten Naben, nimm aufrecht festen Stand ein!
  7. Ob er es sich durch den Sturz in eine Grube gebrochen hat, oder ob ein geschleuderter Stein es ihm zerschmettert hat, wie Rbhu die Teile des Streitwagens, so soll er (Dhatr?) zusammensetzen mit dem Glied das Glied.

Seine Augen sind erwartungsvoll und ganz konzentriert auf den Leben spendenden Natriumchlorid Beutel gerichtet. Und wenn alles nichts nützen würde, so hätte er sofort ein Opfer erbracht. Sein letztes Opfer hatte ihm ermöglicht, mehr Weisheit zu erlangen und alle neun Welten sehen zu können. Niemals würde er seine wunderschöne Geliebte aufgeben wollen. Es reichte schon ohnehin, dass er die anderen Verehrer in diesem kleinen Raum akzeptieren musste. Ansonsten waren sie ja zeitlich völlig voneinander getrennt und lebten in Parallelwelten jeder für sich und erkundigten sich nur ab und zu. Manchmal können Erkundigungen soweit getrieben werden, dass man es bespitzeln nennen könnte, aber warum soll man den Anfang aller Geheimdienstmachenschaften verschweigen. Nein, in keinster Weise.

Verträumt sitzt Merlin vor seiner Geliebten und ist schon ganz trunken von ihrer Schönheit. Welche Gedanken gehen ihn durch den Kopf? Er ist wieder in seiner kompletten Zauberkluft erschienen. Na, viel Zeit hatte er ja nicht, um blitzschnell bei seiner Angebeteten zu sein. Merlin ist auch ein Name für einen verrückten Wilden. Ja, verrückt war er, aber nur nach Medusa und nicht nach irgendeiner Schlacht. Manchmal tarnt sich seine Traumfrau auch als Dame des Sees und unterstützt ihn und dessen Schützling Artus. Natürlich muss er immer aufpassen, dass eine böse Macht nicht über ihn einfällt und ihn in einen ewigen Schlaf versetzt. Er muss immer wachbleiben, damit sich diese verschwiegenen Geheimbünde nicht weiterhin ungehindert ausbreiten können. Das sollte sein Zeitmanagement schon hergeben, schließlich kann sich ein so großer Zauberer wie er einer auch war und ist, auch wachzaubern statt zu schlafen. No Problem also.

Und in dieser Runde darf natürlich der Zauberer von Oz nicht fehlen, obwohl der schon so alt wie ein Baum ist. Und offensichtlich ist auch er Medusa verfallen. Natürlich haben alte Männer eine Geliebte. Was sollte das wohl anders sein als bei jüngeren Männern? Man füllt einfach seine Falten mit Weisheit und Erfahrung. Fertig. Und außerdem bei sich zuhause in seiner Smaragdstadt fühlt er sich um etliche Jahre jünger und vitaler.

Wozu würde er sonst an ihrem Bett weilen? Dabei gehen ihm natürlich unsäglich viele Gedanken über Tod und Leben durch den Kopf. Inständig hofft er, dass seine Geliebte ganzheitlich geheilt wird. Seine Zauberkräfte reichen dafür und in einer anderen Parallelwelt außerhalb der seinen nicht aus
Zählen sollte er nicht seine Zipperlein, die ihm tagtäglich mehr zusetzen, sondern seine Taten und Aktivitäten. Diese sind unser aller Lebensstoff die uns glücklich machen, sie sind ein Geschenk, die Gott an uns selbst macht. Wir müssen nur bereit sein, dies zu erkennen. Ein gutes Leben ist gestaltetes Leben und jede Lebensgestaltung beginnt mit positiven Bildern. Also träumt er schon seine nächste leidenschaftliche Begegnung mit Medusa herbei. Dabei geht ihm das Gedicht von Louis Fürnberg nicht aus dem Sinn:

Alt möcht ich werden wie ein alter Baum,
mit Jahresringen, längst nicht mehr zu zählen,
mit Rinden, die sich immer wieder schälen,
mit Wurzeln tief, dass sie kein Spaten sticht.

In dieser Zeit, wo alles neu beginnt,
und wo die Saaten alter Träume reifen,
mag wer da will den Tod begreifen ich nicht!

Alt möcht ich werden wie ein alter Baum,
zu dem die sommerfrohen Wandrer fänden,
mit meiner Krone Schutz und Schatten spenden
in dieser Zeit, wo alles neu beginnt.

Aus sagenhaften Zeiten möcht ich ragen,
durch die der Schmerz hinging, ein böser Traum,
in eine Zeit, von der die Menschen sagen:
Wie ist sie schön! O wie wir glücklich sind

Die beiden Baseballspieler sind Fans der Medusa. Außerdem ist sie deren Sponsorin. Sie besuchen sie aus Dankbarkeit und überbringen ihr einen Rugbyball als Geschenk. Der Rugbyball war das bisherige Maskottchen der Baseballmannschaft, aber nun soll er Medusa Glück und ein neues gesundes langes Leben bringen. Baseball hat eine Verbindung zu Odins Zauberwelt. Es hat neun Durchgänge (Innings) und es wird mit zwei Teams zu jeweils neun Spielern gespielt. Zu Besuch sind der First Basemann und der Second Baseman. Beide müssen müssen die Bälle fangen und weiter-leiten. Baseman arbeiten eng zusammen, beim Duell gegen den Pitcher tritt ein Batter einzeln an. Seine Mitspieler können seine Leistung oder den Erfolg seines Einsatzes nicht beeinflussen. Diese Sportart lässt sich so als Mannschaftssportart und als Individualsport verstehen. Und Baseball kommt bei jugendlichen Amerikanern eine Rolle als Grundlage von Metaphern für roman-tische und sexuelle Aktivitäten zugewiesen. Da es wie hier um Liebhaber und Liebe geht, ist dies durchaus passend.

First Base – man hat sich geküsst

Second Base – steht für intensives Berühren

Third Base – Oralverkehr

Fourth Base = Homerun – Vollzogener Geschlechtsverkehr

Es scheint also in der Zauberwelt Modernität eingezogen und üblich zu sein, sich so harmlos und verständlich wie möglich zum Thema Liebe und Sex auszudrücken. Junge Zauberer lernen dies neuerdings bei ihrer schulischen Sexualerziehung in der Grundschule.

Und so schließt sich der Kreis und beantwortet die Frage, wieso sich diese ungewöhnlichen Personen aus unterschiedlichen Zeitebenen zusammen auf diesem Bild und in dieser Geschichte genauso zusammengefunden haben.

 

© Marion Kerns-Röbbert, Hemmingen 2015. Der Text darf in ganzer Länge und in Auszügen nur unter
Nennung der Autorin verwendet werden.